Die Auseinandersetzung um das geplante Industrie- und Gewerbegebiet vor Merkwitz ist in eine neue Phase eingetreten. Am 13. November hat der Stadtrat den Auslegungs- und Billigungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 70 „GE/GI Merkwitz“ gefasst. Fünf Tage später informierten Planer, Verwaltung und Leipziger Wirtschaftsförderung die Einwohner im „Merkwitzer Stübchen“ über den aktuellen Stand – vor vollem Haus. Während die Fachleute vor allem über Lärmschutz, Entwässerung und Ausgleichsflächen sprachen, machten Vertreter der Bürgerinitiative deutlich, dass sie das Vorhaben weiterhin grundsätzlich ablehnen und einen Bürgerentscheid anstreben.
In der Sitzung am 13. November stellte Ellen Nowack vom Büro Björnsen Beratende Ingenieure die überarbeitete Planung vor. Der Geltungsbereich des Bebauungsplans wurde erweitert, unter anderem um die Seegeritzer Straße mit dem geplanten Radweg und einer Regenwassermulde. Zudem wurde erläutert, wie Lärmschutz, Erschließung und Ausgleichsflächen neu geordnet wurden.
Kritik kam aus der Fraktion SPD/Grüne/Linke. Stadträtin Dana Godar, die selbst in Merkwitz lebt, verstand nicht, warum kein Wall mehr vorgesehen ist. „Wir sind nach einem Jahr Planungen jetzt weiter weg als vorher“, sagte sie. Nowack entgegnete, der Wall sei bereits im Vorentwurf nicht mehr enthalten gewesen. Den Schutz der Anwohner wolle man über die Staffelung von Industrie- und Gewerbeflächen, größere Abstände und ein umfassendes Grünordnungs- und Schallschutzkonzept erreichen, worauf man in der Infoveranstaltung näher eingehen wolle.
Am Ende stimmte der Stadtrat mit 15 Ja-Stimmen bei 6 Nein-Stimmen mehrheitlich für den Auslegungs- und Billigungsbeschluss. Der Entwurf des Bebauungsplans Nr. 70 wird vom 10. Dezember bis 30. Januar auf der Internetseite der Stadt, im Beteiligungsportal Sachsen und im Bauamt öffentlich ausgelegt. In diesem Zeitraum können Bürger Stellungnahmen abgeben.
Am 18. November kamen zahlreiche Merkwitzer zur Informationsveranstaltung im „Merkwitzer Stübchen“. Moderator Fritjof Mothes vom Büro Stadtlabor bat gleich zu Beginn um einen sachlichen Ton: Argumente wirkten umso stärker, „umso ruhiger und entspannter man das rüberbringt“. Daran hielten sich alle Anwesenden – der Abend war geprägt von fachlichen und konstruktiven Wortmeldungen.
Bürgermeister Tobias Meier erinnerte daran, dass man bereits vor rund 13 Monaten an gleicher Stelle zur frühzeitigen Beteiligung informiert habe. Seitdem habe es einen intensiven Austausch in unterschiedlichen Formaten gegeben. Nun liege ein ausgereifter Entwurf vor, zu dem die Bürger erstmals formell Stellung nehmen könnten.
Rosica Komitova vom Fachbereich Bauwesen erläuterte den Ablauf eines Bebauungsplanverfahrens. Ein B-Plan sei eine „Angebotsplanung“ und schaffe zunächst Planungsrecht, ohne dass unmittelbar gebaut werde. Sie erklärte das zweistufige Verfahren mit frühzeitiger Beteiligung, Entwurfs-Auslegung und anschließender Abwägung sämtlicher Stellungnahmen. Erst danach könne der Stadtrat einen Satzungsbeschluss fassen oder bei wesentlichen Änderungen erneut in die Beteiligung gehen.
Ellen Nowack stellte im Detail vor, wie sich der Entwurf seit der Veranstaltung im Juni verändert hat. Grundlage seien zahlreiche Fachgutachten: eine schalltechnische Untersuchung, ein Regenwassermanagement-Konzept, geotechnische und bodenkundliche Gutachten, ein Grünordnungsplan, ein artenschutzrechtlicher Fachbeitrag und eine Verkehrsuntersuchung für den gesamten Nordraum.
Der Geltungsbereich wurde erweitert, um die Seegeritzer Straße mit Radweg und Regenwassermulde abzusichern. Die Haupterschließung soll weiterhin über die BMW-Allee erfolgen. Eine ursprünglich vorgesehene Stichstraße ins Gebiet entfällt. An der Seegeritzer Straße ist nur eine Havariezufahrt für Rettungsfahrzeuge geplant, gesichert durch Schranke oder Poller.
Besonders hervorgehoben wurde die Neuordnung von Bauflächen und Ausgleichsflächen. Das Gebiet wird in ein von Merkwitz abgewandtes Industriegebiet und ein dazwischen liegendes Gewerbegebiet gegliedert. Im zur Ortschaft hin orientierten Bereich sind nur Nutzungen zulässig, die den Schallvorgaben eines Gewerbegebietes entsprechen. Die Höhenfestsetzung im merkwitznahen Teil wurde auf 15 Meter (plus möglicher Aufbauten) reduziert, für die Industriehallen sind 20 Meter plus Aufbauten vorgesehen. Laut Nowack ist der Abstand zur Wohnbebauung gewachsen, die überbaubare Fläche verringert worden.
Ute Voege vom Büro Terra IN stellte den Grünordnungsplan vor. Die Ausgleichsflächen wurden nach ihren Angaben von 35 auf 39 Hektar erweitert. Insgesamt stehen rund 46 Hektar Gewerbe- und Industrieflächen etwa 39 Hektar Ausgleichs- und Grünstrukturen gegenüber – ein Verhältnis, das sie als „sehr besonders“ bezeichnete. Ziel sei es, Eingriffe in Natur und Landschaft unmittelbar vor Ort auszugleichen. Statt eines geschlossenen Waldes setze man auf Offenland, Feldhecken und extensiv genutztes Grünland, um die Bildung und den Abfluss von Kaltluft zu sichern und gleichzeitig den Kulturlandschaftscharakter zu erhalten.
Ein 20 Meter breiter und etwa 900 Meter langer Blühstreifen soll als Ausgleichshabitat für Feldlerchen dienen. Zudem sind Gehölzriegel mit Sträuchern und mittel- bis großkronigen Bäumen geplant, die versetzt angeordnet werden, um Blickbeziehungen und Lichtemissionen aus dem Plangebiet zu unterbinden. Voege verwies auf Beispiele aus Breitenfeld, wo ähnliche Feldhecken eine hohe „Blickdichtigkeit“ erreichten.
In der Fragerunde meldete sich Peter Wagner von der Bürgerinitiative Merkwitz zu Wort. Die Präsentation klinge, als entstehe „ein wunderschönes Naherholungsgebiet“, sagte er ironisch. Er erinnerte an frühere Planstände, in denen ein Wall und Wald ins Gespräch gebracht worden seien, und fragte: „Warum kein Wall mehr, warum kein Wald?“ Ein Wall schirme Lärm ab, schaffe Sichtschutz und habe psychologisch eine wichtige Wirkung. Zudem könnten sich dort auch Tiere ansiedeln.
Nowack hielt dem – wie in der Stadtratssitzung - entgegen, dass schon im Vorentwurf des Bebauungsplans kein Wall mehr vorgesehen gewesen sei. Mit der Gliederung in Industriegebiet, Gewerbegebiet und vorgelagerte Ausgleichsflächen sei der Lärmschutz „deutlich besser als hinter einem Wall“. Sie wolle die Merkwitzer nicht „hinter einem Wall verstecken“. Das Konzept aus Feldhecken und gestalteter Landschaft wirke psychologisch stärker als ein Erdwall. Gleichzeitig verwies sie auf Vorgaben zum Kulturlandschaftsschutz und zur Offenhaltung der Kaltluftbahnen.
Mehrere Bürger äußerten Zweifel, ob Gehölze und Höhenstaffelung der Hallen den gewünschten Sichtschutz bringen, zumal das Gelände zur BMW-Allee hin ansteigt und Hallen bis zu 20 Metern plus Aufbauten möglich sind. Die Planer verwiesen auf Bäume, die bereits mit etwa fünf Metern Höhe gepflanzt werden sollen, und auf eine erwartete „wirksame Blickdichtigkeit“ nach rund zehn Jahren. Ein Wald wäre nach ihrer Einschätzung nicht höher als die geplanten Gehölzstrukturen.
Entwässerung, Versiegelung und die Angst um Ackerland
Ein Schwerpunkt der Fragen betraf die Entwässerung. Anwohner berichteten von heute schon überfluteten Radwegen, Gärten und Kellern. Sie bezweifelten, dass sich die Situation nach der Versiegelung großer Flächen verbessern könne. Die Fachleute verwiesen auf das Regenwasserkonzept, das Versickerung vor Ort, Verdunstung und Nutzung als Brauchwasser kombiniere. Nur ein sehr kleiner Teil des Wassers solle über den Merkwitzer Graben abfließen. Das Ziel sei ausdrücklich, Überflutungen künftig zu vermeiden und die Situation im Vergleich zu heute zu verbessern.
Grundsätzliche Kritik an der Flächenversiegelung kam ebenfalls zur Sprache. Ein Merkwitzer sprach von einem „Hohn“, wenn von „Aufwertung“ die Rede sei, während „für immer und ewig“ Ackerland verloren gehe. Mit Blick auf aktuelle Kriege und danach möglicherweise folgende Hungersnöte warnte er vor der dauerhaften Aufgabe von Landwirtschaftsflächen.
Auf die Frage, wer von dem Projekt finanziell profitiere, erklärte Bürgermeister Meier, dass der Verkaufserlös der Flächen an Leipzig gehe, die Gewerbesteuern aber zu 100 Prozent der Parthestadt zufließen würden. Außerdem verwies er beispielhaft auf ein bereits in Taucha angesiedeltes verarbeitendes Gewerbe mit rund 55 Arbeitsplätzen, das nach wenigen Jahren erstmals „eine nicht unerhebliche Summe Gewerbesteuer“ an die Kommune gezahlt habe.
Sorgen bereiten vielen Merkwitzern die möglichen Auswirkungen auf den Verkehr. Die Verkehrsuntersuchung soll die Gesamtentwicklung im Leipziger Norden berücksichtigen. Wagner befürchtet, dass durch das Gewerbe- und Industriegebiet eine B87-Variante näher an Merkwitz heran wahrscheinlicher werden könnte. Meier sagte, zur B87 gebe es derzeit keine neuen Informationen. In Kürze solle aber ein offener Brief von Taucha und umliegenden Gemeinden veröffentlicht werden, um den Wunsch nach Bewegung in diesem Verfahren zu untermauern.
Auch die Frage nach möglichen Großspeicher-Anlagen wurde gestellt. Vertreter aus Leipzig und der Stadtverwaltung erklärten, im Bebauungsplan sei produzierendes Gewerbe und Industrie mit Arbeitsplatzwirkung festgeschrieben. Über kleinteilige Festsetzungen zu Gebäudeabmessungen versuche man, reine Großlager zu erschweren. Vollständig ausschließen lasse sich dies über den B-Plan jedoch nicht. Die Kommunen könnten aber im Flächenverkauf steuern, wer sich ansiedeln dürfe.
Die Notzufahrt an der Seegeritzer Straße und eine geplante Bushaltestelle waren ebenfalls Thema. Anwohner befürchten zusätzlichen Autoverkehr, etwa durch Hol- und Bringdienste. Zugleich wurde die Möglichkeit angesprochen, dass sich die Busverbindung zwischen Hohenheida und Merkwitz verbessern könnte.
Trotz der langen Erläuterungen und der Hinweise auf geänderte Zuschnitte, mehr Ausgleichsflächen und strengere Festsetzungen bleibt die Bürgerinitiative bei ihrer grundsätzlichen Ablehnung. Roland Wagner brachte es so auf den Punkt: Viele in Merkwitz seien „der festen Überzeugung, die 90 Hektar Ackerland sollen Ackerland bleiben“.
Peter Wagner kündigte an, man werde weiter auf einen Bürgerentscheid hinarbeiten. In Kürze solle ein kassatorisches Bürgerbegehren vorbereitet werden. Er kritisierte, dass Plaußig und Hohenheida vor dem Offenlegungsbeschluss informiert worden seien, Merkwitz aber erst nach dem Billigungsbeschluss – und bemängelte die begrenzte Größe des Veranstaltungsortes, die aus seiner Sicht viele Interessenten ausschließe.
Meier zog ein anderes Fazit. Er habe den Abend „gewinn- und erkenntnisbringend für alle Seiten“ erlebt. Wer das Projekt grundsätzlich ablehne, werde sich kaum umstimmen lassen, sagte er. „Dennoch haben gestern schärfste Kritiker des B-Plans sich argumentativ eingebracht. Das ist gut.“
Wie es weitergeht, entscheidet sich in den kommenden Wochen: Vom 10. Dezember bis zum 30. Januar können Bürger Stellungnahmen zum Bebauungsplan Nr. 70 abgeben. Danach werden diese Stellungnahmen in den B-Plan eingearbeitet und erneut zur Abstimmung gestellt. Der Konflikt um das Industrie- und Gewerbegebiet vor Merkwitz bleibt damit offen – und dürfte die kommunalpolitische Debatte in Taucha noch eine Zeit lang prägen.