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Industriegebiet Merkwitz: Rüstungsdebatte verunsichert Bürger – Stadt plant Ratsbegehren | Taucha kompakt

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Veröffentlicht am 22.04.2025 09:16

Industriegebiet Merkwitz: Rüstungsdebatte verunsichert Bürger – Stadt plant Ratsbegehren

Sollen in Merkwitz künftig Rüstungsgüter hergestellt werden? Eine Bürgerin warf diese Frage nun im Rahmen der Stadtratssitzung auf. Und ist das geplante Bürgerbegehren noch umsetzbar oder eine wichtige Frist verstrichen? Ein Überblick der aktuellen Lage.

Auf diesem Acker zwischen Merkwitz und dem BMW-Areal wollen die Städte Taucha und Leipzig ein neues Gewerbe- und Industriegebiet bauen. (Foto: Daniel Große)
Auf diesem Acker zwischen Merkwitz und dem BMW-Areal wollen die Städte Taucha und Leipzig ein neues Gewerbe- und Industriegebiet bauen. (Foto: Daniel Große)
Auf diesem Acker zwischen Merkwitz und dem BMW-Areal wollen die Städte Taucha und Leipzig ein neues Gewerbe- und Industriegebiet bauen. (Foto: Daniel Große)

Die Diskussion um das geplante Industrie- und Gewerbegebiet im Tauchaer Ortsteil Merkwitz hat in der April-Sitzung des Stadtrates neuen Zündstoff erhalten. Im Rahmen der Bürgerfragestunde schilderte eine Tauchaerin schriftlich, dass ein Mann an ihrer Haustür klingelte und Unterschriften gegen das Vorhaben sammelte. Dabei habe er unter anderem vor einer angeblich geplanten Rüstungsfabrik gewarnt und den Begriff „Mimo 2.0” genannt. Die Frau zeigte sich tief verunsichert und fragte: „Warum werden die Bürger nicht einbezogen?”

Bürgermeister: Keine Rüstungsindustrie in Merkwitz

Bürgermeister Tobias Meier reagierte in der Sitzung am Gründonnerstag mit einem klaren Dementi: „Es ist sehr bedauerlich, wenn ein aktuelles Thema mit dem Industriegebiet vermischt wird.” Er betonte, dass im Bebauungsplan ausdrücklich Industriezweige ausgeschlossen werden sollen, die mit Sprengstoffen, Gefahrstoffen oder chemischer Produktion zu tun haben. „So etwas wie eine Pulverfabrik schließen wir direkt von vornherein aus.”

Gleichzeitig räumte Meier aber ein: „Überall in Taucha könnte etwas hergestellt werden, was für die Rüstung genutzt werden kann. Wir wissen das gar nicht. Genauso wenig wissen wir, ob BMW in 50 Jahren noch Autos herstellt.” Der Regionalplan verfolge seit 2011 die Linie, Flächen für die Automobilindustrie vorzuhalten. „Nichts anderes ist auch weiterhin geplant. Wir wollen antizyklisch arbeiten und vorsorgen, damit wir bereit sind, wenn sich die wirtschaftliche Situation bessert”, so Meier.

Von hier aus an der BMW-Allee soll die Zufahrt zum erweiterten Industriegebiet erfolgen. Die Merkwitzer befürchten eine weitere Zunahme des Verkehrs - und eine spätere Öffnung des Gewerbegebietes nach Merkwitz. (Foto: Daniel Große)
Von hier aus an der BMW-Allee soll die Zufahrt zum erweiterten Industriegebiet erfolgen. Die Merkwitzer befürchten eine weitere Zunahme des Verkehrs - und eine spätere Öffnung des Gewerbegebietes nach Merkwitz. (Foto: Daniel Große)
Von hier aus an der BMW-Allee soll die Zufahrt zum erweiterten Industriegebiet erfolgen. Die Merkwitzer befürchten eine weitere Zunahme des Verkehrs - und eine spätere Öffnung des Gewerbegebietes nach Merkwitz. (Foto: Daniel Große)

Diese Einordnung bekommt Brisanz vor dem Hintergrund, dass mehrere deutsche Autohersteller derzeit einen Einstieg in die Rüstungsproduktion prüfen. So denkt etwa Volkswagen darüber nach, in Osnabrück Militärfahrzeuge herzustellen. Auch andere Unternehmen wie ZF Friedrichshafen oder Deutz befassen sich mit einer militärischen Nutzung ihrer Technologien. In Sachsen zeigt sich diese Entwicklung besonders deutlich: Rheinmetall hat Interesse an einer F-35-Produktion signalisiert, und in Großenhain war eine Pulverfabrik durch Thyssen-Krupp Defense geplant – das Vorhaben scheiterte am Protest der Bürger.

Peter Wagner von der Bürgerinitiative Merkwitz bleibt skeptisch: „Es werden Flächen gebaut, aber keiner weiß, was hinkommt. Das Einzige, was aktuell Aufwind hat, ist die Rüstung”, sagt er gegenüber Taucha kompakt. Er verweist auf die Beispiele Großenhain und Osnabrück: „Es ist nicht unmöglich, dass so etwas auch in Merkwitz versucht wird.”

Bereits über 1000 Unterschriften gegen neues Industriegebiet

Die Bürgerinitiative hat eigenen Angaben zufolge inzwischen über 1.000 Unterschriften gesammelt. Ziel sei es, ein Bürgerbegehren gegen das gesamte Vorhaben auf den Weg zu bringen. Doch dabei gibt es rechtliche Hürden: Nach Einschätzung der Landesdirektion Sachsen und des Landkreises Nordsachsen handelt es sich um ein sogenanntes kassatorisches Bürgerbegehren (siehe Definition unten). Dieses richtet sich gegen einen bestehenden Ratsbeschluss vom 19. Oktober 2023 und hätte laut Sächsischer Gemeindeordnung binnen drei Monaten gestellt werden müssen. Diese Frist sei mittlerweile abgelaufen, teilte Meier in der Ratssitzung mit.

„Wir schließen uns dieser Einschätzung an, da wir als Stadt keine andere Prüfinstanz haben. Die Kommunalaufsicht unterstützt uns hier”, so der Bürgermeister. Er betonte zugleich: „Diese rechtliche Einschätzung betrifft keine politische Wertung. Es geht nicht um das Für und Wider eines Gewerbegebietes, sondern darum, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein wirksames Bürgerbegehren erfüllt sind. Diese Frage ist sachlich zu betrachten und darf nicht zur Belastung des demokratischen Dialogs werden.”

Definition

Kassatorisches Bürgerbegehren

Ein kassatorisches, (auch kassierendes Bürgerbegehren oder Korrekturbegehren genannt, zielt darauf ab, einen bereits gefassten Beschluss des Gemeinderats aufzuheben oder rückgängig zu machen. Im Gegensatz zum initiierenden Bürgerbegehren, das neue Maßnahmen anstoßen will, richtet sich das kassatorische gegen bestehende Entscheidungen.

In Sachsen muss ein solches Begehren innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des Ratsbeschlusses eingereicht werden. Es gelten in Sachsen die üblichen formalen Anforderungen, wie einen mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortenden Entscheidungsvorschlag, eine Begründung sowie die Benennung von Vertrauenspersonen. Nach erfolgreicher Prüfung und ausreichender Unterstützung durch Unterschriften kann es zu einem Bürgerentscheid kommen, bei dem die Bürger direkt über die Aufhebung des Ratsbeschlusses abstimmen.

    Peter Wagner hält dagegen: „Wir sind gegen das Industrie- und Gewerbegebiet insgesamt, nicht nur gegen einen Planungsabschnitt oder den Aufstellungsbeschluss. Darum passt es hier nicht, von einem kassatorischen Bürgerbegehren auszugehen.” Er kritisiert zudem die formalen Anforderungen: „Man findet nichts im Gesetz, wie genau die Frage formuliert sein muss, um Unterschriften zu sammeln. Ist das der Sinn eines Bürgerbegehrens, dass es nur mit Fachwissen eingereicht werden kann? Wir lassen das auch gern noch gerichtlich prüfen.”

    Bürgermeister plant Ratsbegehren

    Um dennoch einen möglichen Bürgerentscheid zu ermöglichen, will Bürgermeister Tobias Meier dem Stadtrat in der Maisitzung ein Ratsbegehren vorschlagen. „Das ist der Weg, um den Bürgern eine verbindliche Entscheidung in dieser Frage zu ermöglichen, die augenscheinlich etliche Menschen bewegt.” Für ein solches Verfahren ist eine Zweidrittelmehrheit im Stadtrat erforderlich. Es wäre das erste Ratsbegehren in der Geschichte der Stadt Taucha. Der Vorteil: Die Fragestellung würde rechtlich geprüft, es müssten keine Unterschriften gesammelt werden, und das Ergebnis hätte verbindlichen Charakter.

    „Ich habe mich mit dem Ältestenrat ausgetauscht und binde die Kommunalaufsicht ein. Wir wollen diesen Weg korrekt gehen und keine Fehler machen. Ich möchte alle ermutigen, diesen Weg aktiv mitzugehen”, erklärt der Bürgermeister weiter. Stimme der Stadtrat dann dem Ratsbegehren zu, würde das Bürgerbegehren in einen Wahltag münden, an dem dann alle Bürger aufgerufen seien, ihre Stimme für oder gegen ein neuen Gewerbegebiet in Merkwitz abzugeben.

    Peter Wagner von der Bürgerinitiative Merkwitz bleibt vorsichtig: „Bislang hat uns der Bürgermeister den Weg nicht leicht gemacht, sondern eher bürokratische Hürden auferlegt. Dieses Ratsbegehren ist nun zumindest ein kleines Aufeinanderzugehen seinerseits.” Ein Gespräch zwischen Tobias Meier und Vertretern der Bürgerinitiative sei bereits für den 29. April geplant. Und am 17. Mai lädt die Initiative zu einem Fahrradkorso rund um das geplante Areal ein. Von Merkwitz soll es über Gottscheina und Hohenheida gehen.

    Meier betonte am Donnerstag abschließend: „Die Stadt Taucha ist verpflichtet, die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Ich möchte appellieren, den Dialog fair und faktenbasiert zu führen. Nur so kann ein tragfähiger gemeinsamer Weg gefunden werden.”

    Stichwort

    Erfolgreiche Ratsbegehren

    In Deutschland wurden in den vergangenen 25 Jahren zahlreiche Ratsbegehren durchgeführt, bei denen Gemeinderäte selbst Bürgerentscheide initiierten. Diese Ratsbegehren sind ein bedeutendes Instrument der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene.

    • München (2001)
      Thema: Neubau eines Fußballstadions in Fröttmaning (Allianz Arena)
      Ergebnis: 65,6 % stimmten für den Bau
    • Garmisch-Partenkirchen (2011)
      Thema: Unterstützung der Olympiabewerbung für die Winterspiele 2018
      Ergebnis: Mehrheit der Bürger sprach sich dafür aus
    • München (2012)
      Thema: Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen München
      Ergebnis: 53,2 % stimmten dagegen

    Das letzte Ratsbegehren in Deutschland fand in Hohnstein (Sachsen) im Februar dieses Jahres statt: Der Stadtrat initiierte ein Ratsbegehren mit der Frage, ob alle rechtlich verfügbaren Maßnahmen zur Verhinderung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet ergriffen werden sollen. Die Mehrheit der Bürger stimmte dem zu.


    Daniel Große
    Daniel Große
    Daniel Große arbeitet seit 2001 als freier Journalist und berichtet hier zu allen Themen, die unsere Region bewegen. Infrastruktur, Blaulicht-Meldungen, Veranstaltungen, Neues aus den Rathäusern und vieles mehr veröffentlicht er hier. Schnell, kompakt und verständlich.

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